Cornelius Claudio Kreusch

“Vierzehn Jahre alt war ich, als ich wegen meines Asthmas, das mich seit Kleinkind- bis ins Erwachsenen-Alter stark plagte, erstmalig in die Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang kam. Die gesamten Sommerferien verbrachte ich jeweils dort in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Es war meine Zeit des Erwachsen-Werdens, des Unabhängig-Werden-Wollens, des Gesund-Werden-Wollens, die ich in dieser unglaublichen Graubündener Natur mit meinen dort gewonnenen Freunden erleben durfte. Denn so schwerwiegend der Grund, so mühsam das morgendliche Wassertreten, so unnachgiebig die Klink-Schwestern, so sehr habe ich in der Zeit erstmalig bewusst zu mir gefunden. Bei meiner Ankunft konnte es so sonnig sein, wie es wollte: Ich konnte mir die Zeit nur dunkel vorstellen so allein in einer Klinik. Doch im nächsten Augenblick war ich eingetaucht in die Welt der Berge, der Freunde mit ähnlichem Schicksal, herausfordernden Tagesabläufen und spannenden Begebenheiten, die ein Heranwachsender sucht. Groß war die Freude: denn es gab sogar einen Flügel im großen Saal! Die Musik war also auch mit mir hier oben, mit Blick auf’s Jacobshorn. Meine ersten kleinen nicht-öffentlichen Konzerte gab ich dort, vor keuchenden, pfeifenden, hustenden, aber sehr inspirierten Asthmatikern und deren Ärzten, high von der ständigen Luftknappheit bzw. dem Hinterher-Hecheln zum Lindern der Luftknappheit. Eine Symbiose der gegenseitigen Notwendigkeit. Es ist keine Überraschung, dass Menschen, die schwer Luft bekommen, das Leben umso mehr schätzen. Der Mensch kommt in der Enge der Lunge an bis dahin unbekannte Grenzerfahrungen, die aber auch Augen, Ohren und alle inneren Sensoren öffnen für das Wesentliche. Ich habe seitdem gelernt, für das mir Wesentliche zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen, oft gegen Widerstände. Jedes Mal machte es mich stärker. Bis zum New York City Marathon. Ich hole mir die Luft, die ich brauche. Das Atmen an sich bedeutet für mich: Wir überwinden den Widerstand des Einatmens, sowie den Widerstand des Ausatmens. In sich aufnehmen bedeutet dieselbe Anstrengung, wie das von sich loslassen.

Als ich dann die schriftstellerische Welt von Thomas Mann kennenlernte und dabei dem ZAUBERBERG an selber Stelle in der Davoser Hochgebirgswelt wieder auf eine ganz besondere Art begegnete, erinnerte ich mich an meine Erlebnisse in dieser bizarren Berglandschaft, in diesem Sanatorium, dieser Entrücktheit und Eindringlichkeit der Natur. Ich erkannte in dieser Zeit auch für mich: Die Kunst, ob Musik, Wort oder Bild, ist der Atem des Seins. Künstler sind Menschen, deren Arbeit der Welt Schwingung und Botschaft gibt. Einige dieser Botschaften sollten nie verklingen, so auch der ZAUBERBERG des großen deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Es ist für mich die höchste Form des literarischen Atems.

Als ich von den Gustav-Mahler-Musiktagen in Toblach (Südtirol) für ein Konzert eingeladen wurde, erfuhr ich, dass sich Gustav Mahler dort in seinem Komponier-Häuschen seinem Asthma-Leiden in dieser schroffen Dolomiten-Landschaft Linderung verschaffen wollte. Da war mir sofort wieder meine eigene ZAUBERBERG-Erfahrung präsent. Ich beschloss daher, dort am Tag vor und nach dem Konzert ein paar Stunden Musikaufnahmen zu machen. Diese Aufnahme-Situation bot mir die Möglichkeit ganz auf meine innere Stimme zu vertrauen: Vorbereitend saß ich meist am Bach in der Sonne, hörte dem Wasser, meinen Gedanken zu, sprang dann auf, wenn ich mich inspiriert fühlte und improvisierte, mit dem ZAUBERBERG im Kopf am Klavier. Aus dem mehrstündigen Aufnahmematerial habe ich für die vorliegende CD zwei Stunden herausgenommen, die meiner Idee des ZAUBERBERG und einer Hommage an Thomas Mann am nächsten kamen. Ein paar weitere Improvisationen, die eher eine nächtliche Stimmung darstellen, habe ich zusätzlich in meinem eigenen Münchner Studio eingespielt.

Die vorliegende Aufnahme ist also komplett improvisiert und aus dem Moment gegossen. Sie ist eine Hommage an einen der größten Schriftsteller unserer Zeit und eines der großartigsten Werke der Literaturgeschichte. Ich lade Sie ein auf eine musikalische Reise zu meinem atmenden Selbst in Gedanken an den ZAUBERBERG.

Dass Thomas Manns Bildnis nun auf dem Titel dieser Musik-Aufnahme zu sehen ist, ohne dass aus seinem Werk zitiert wird, mag ein Zeichen sein, wie sehr er meine Art von Musik beeinflusst und geprägt hat: Eine musikalische Improvisation als Pendant zum großen, literarischen Atem!

Herzlich, Ihr

Cornelius Claudio Kreusch”

 

Der Jazz Pianist, Komponist und Produzent Cornelius Claudio Kreusch, den der Boston Globe als “ein Pianist, der klingt wie kein anderer. Unendlich faszinierend zu hören.” bezeichnete, hat mehr als 20 Alben unter eigenem Namen veröffentlicht und arbeitete mit Künstlern wie Herbie Hancock, Bobby McFerrin, Salif Keïta, Kenny Garrett, Bobby Watson oder Greg Osby zusammen. Der Bayerische Rundfunk beschrieb ihn einmal wie folgt:

“Dieser rasende Musik-Alchimist, dieser besessene Schnell-Denker, dieser eruptive Tonfabrikant raubt einem die Sinne und den halben Verstand: da kannst du nur den Hut ziehen und kapitulieren. Kreusch reißt alle Klaviertitanen des Jahrhunderts, ob sie Tatum oder Solal, Horowitz, Gould, Kühn, Hancock oder Jarrett heißen, in den Gedanken-Strudel seiner aberwitzigen Virtuosität und unternimmt mit einigen alten Standards im Hinterkopf eine tollkühne Tasten-Ralley der ständigen Metamorphosen, in die gewaltige Kettenreaktion seiner sprühenden, unglaublich kreativen Phantasie.” (Attila Csampai, Bayerischer Rundfunk, TonArt, HiFi & Records, Music Manual)

MARTIAL SOLAL über Cornelius Claudio Kreusch, & sein Album “ZAUBERBERG”:

“Cornelius Claudio Kreusch hat wirklich alle Qualitäten: Er meistert das Klavier und den Jazz. Er besitzt eine immer wachsame Imagination, die ihm erlaubt, anders zu sein. Etwas, das mir immer essentiell erschien als Improvisator. Sein “Zauberberg” ist voller wundervoller Momente, die jeweils neu erklingen, von Nummer zu Nummer, welches eine wirklich schwierige Aufgabe ist. Er macht das perfekt. Er hat einen wunderbaren “Touch”, spielt voller Energie, voller Gefühl, kontrastreich, unerwartet und mit exzellenter Technik. Ich hoffe, diese CD wird die Anerkennung finden, die sie verdient. Meine hat er!”(Martial Solal)

 

www.corneliusclaudiokreusch.com

Photo by Nada Hakeem

Ein Gedanke zu „Cornelius Claudio Kreusch

  1. Lieber Herr Kreusch,
    ich war am Samstag mit meinem Mann in Waldshut bei Ihrem Konzert. Es war ein unglaublich wundervoller Abend!
    Und vielen lieben Dank für Ihre Worte am Ende der Veranstaltung! Wir können Ihnen da nur beipflichten!
    Liebe Grüße,
    Bea Knapp

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