Beschreibung
Doris Orsan – violin
Johannes Tonio Kreusch – guitar
Das Duo Violine und Gitarre gehört zu den raren Besetzungen in der Musikwelt, quer durch alle Genres. Angesichts der „Dialogues“, die die Geigerin Doris Orsan und ihr Mann, der Gitarrist Johannes Tonio Kreusch auf ihrem gleichnamigen neuen Album führen, kann man kaum verstehen, warum. Ist die CD doch ein überzeugendes Plädoyer für die musikalische Leuchtkraft dieser Kombination. Genauer gesagt sind es sogar vier Verführungen, denen man nicht widerstehen kann: Orsan und Kreusch exerzieren die Möglichkeiten ihres Instrumentariums an der klassischen Romantik, an der spanischen Klassik, am karibischen Musikkosmos und schließlich auf dem Feld der experimentellen Modernen Musik vor. Schon dieser Bogen, den man so weit auf wenigen Einspielungen findet, zeigt nicht nur die technische Klasse von Orsan und Kreusch, es beweist vor allem ihre musikalische Intelligenz und Bandbreite. Beide sind in ihren Künstlerbiographien nicht nur die ausgetretenen Pfade gegangen.
Doris Orsan studierte Violine am Mozarteum in Salzburg und an der Juilliard School of Music in New York. Konzerttourneen führten sie in die prominentesten deutschen Konzerthäuser wie in andere europäische Länder, etwa zum Festival Clássico en Verano in Madrid, zum Festival Musique de Chambre in Beausoleil, Frankreich oder zum Antwerpener Festival. Zu ihren Auszeichnungen gehört der Österreichische Staatspreis Kultur, ihre Summa-cum-laude-Dissertation über die Violinkonzerte von W. A. Mozart ist im Königshausen & Neumann Verlag unter dem Titel „Ein Genie reift“ erschienen. Auf ihren CD-Einspielungen findet sich nicht nur klassische Literatur, sondern auch Zeitgenössisches von Piazzolla bis Gismonti. Auch auf ihrem aktuellen Album „Ciaccona“ spielt sie neben Solowerken Bachs ein Stück von Nikolaus Brass. Der Münchner gehört wie der Kubaner Tulio Peramo Cabrera, der in Paris lebende Bulgare Atanas Ourkouzounov oder der Argentinier Maximo Diego Pujol zu dem Komponistenkreis, der Werke für Doris Orsan und Johannes Tonio Kreusch schreibt. Und auch auf „Dialogues“ vertreten ist.
Johannes Tonio Kreusch studierte ebenfalls am Salzburger Mozarteum und an der Juilliard School of Music in New York. Seit seinem Solodebüt in der New Yorker Carnegie Recital Hall 1996 führten ihn seine Konzertreisen durch ganz Europa, in die USA, den Fernen Osten und Lateinamerika. Kreusch gibt außerdem Seminare und Meisterkurse, ist Autor zahlreicher Publikationen und einer der profiliertesten Festivalmacher. So leitet er die internationalen Gitarrenfestivals in Wertingen und Hersbruck – das er zu einem der wichtigsten in Deutschland gemacht hat – sowie zusammen mit seinem Bruder, dem Jazzpianisten Cornelius Claudio Kreusch, die preisgekrönte Konzertreihe „Ottobrunner Konzerte“ und das wegweisende zeitgenössische Festival „Look Into The Future“ in Burghausen. Die Zusammenarbeit mit seinem Bruder hat ihm früh den Blick über die Klassik hinaus eröffnet. Außer mit klassischen Musikern oder Gitarrenstars wie Andy York, Carlos Barbosa-Lima oder Badi Assad arbeitet er mit Weltmusikern und Improvisatoren wie Markus Stockhausen oder Giora Feidman. Gemeinsam bilden Doris Orsan und Johannes Tonio Kreusch seit vielen Jahren ein erfolgreiches Kammermusik-Duo, das eben nicht nur das Standardrepertoire pflegt, sondern viele – oft ihnen gewidmete und von ihnen uraufgeführte – zeitgenössische sowie eigene Kompositionen umfasst.
Außergewöhnliche Künstler, die auf „Dialogues“ außergewöhnliche Dinge machen. Los geht es mit einer Rarität von Franz Schubert, seiner „Sonate für Arpeggione“. Das Arpeggione war ein heute vergessenes Zwitterinstrument, eine Art Gitarren-Cello mit Bünden, aber mit einem Bogen gespielt. Auf Anregung des Gitarren- und Arpeggione-Spielers Vincenz Schuster schrieb Schubert dafür eine Komposition, die Schuster ein Jahr nach der Erfindung des Instruments uraufführte. Als Schuberts Sonate für Arpeggione posthum veröffentlicht wurde, war das Instrument fast vollständig verschwunden. Der Verleger legte daher eine Cellostimme und eine alternative Violinstimme bei, die für diese CD verwendet wurden. Und die in vielen Variationen um eine wundervoll romantische, volksmusikalisch tänzerische Melodie kreisen, von Kreusch und Orsan mit Finesse, Sinn für Dramatik und geheimnisvollem Zauber aufgeladen.
Nicht weniger emotional ist der folgende Part, wenn auch einem ganz anderen Kulturkreis zugehörig: Enrique Granados‘ „3 Danzes Españoles“. Die „Andaluza“, „Oriental“ und „Villanesca“ benannten Tänze sind herausragende Beispiele für die von den Volksmusiksammlungen Felipe Pedrells initiierte spanische Klassik ausgangs des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts, zu deren Vollendern neben Isaac Albéniz und Manuel de Falla auch Enrique Granados gehörte. Eine wahre Nationalmusik, die die Landschaften Spaniens und den Stolz und die Gefühle seiner Bewohner meisterhaft einfängt. Und die vor allem mit der Gitarre verbunden wird – auch bei Granados, obwohl er Pianist war und keine einzige Note für Gitarre geschrieben hat. Doch seine Kompositionen wie die ursprünglich für Klavier geschriebenen Danzas harmonieren so gut zum Klang der Gitarre, dass die Transkriptionen dafür wie Originalkompositionen wirken. Hier verleihen Kreusch und Orsan ihnen noch eine weitere Dimension und neues Leben, indem sie die rhythmische, perkussive Qualität und die besondere Klangfarbe der spanischen Gitarre mit dem vokalen, melodischen Charakter der Violine verbinden.
Weiter geht die Reise, zeitlich näher und doch geografisch entfernter, mit den für dieses Duo von Tulio Peramo Cabrera geschriebenen sechs „Piezas para violín y guitarra“. Der vielfach preisgekrönte Cabrera gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Komponisten Kubas und versteht es wie kaum ein anderer, das Wesen der kubanischen Musik mit ihren Wurzeln in der spanischen und europäischen Klassik in Einklang zu bringen. So changieren auch diese Stücke zwischen an Debussy erinnernden impressionistischen Farben, heiter spielerischen Elementen wie in „Habanereando“ – Cabreras eigene Wortschöpfung für seine Außensicht auf die klassische Habanera – bis zu modernen und dissonanten Motiven. Etwa in „Crepuscular“, das die tiefe Trauer und Einsamkeit ausdrückt, die er beim Tod seiner Mutter empfand. Bemerkenswert, wie meisterhaft die Violinkantilenen gesetzt und die Gitarre in all ihren Facetten verstanden wird – ist doch auch Cabrera weder Geiger noch Gitarrist, er kommt vom Operngesang und komponiert vorwiegend am Klavier. Sein Einfühlungsvermögen mag auch an der langen, fruchtbaren Freundschaft liegen, aus der bereits eine Vielzahl von Kompositionen vor allem für Johannes Tonio Kreusch hervorgegangen sind.
Ähnliches gilt auch für das finale Ausrufezeichen von „Dialogues“, ein Sprung in die direkte Gegenwart und in die Zukunft. Die „Dia loghi d’amore VII“ des bei allen großen Festivals für Neue Musik gespielten Nikolaus Brass ist ein modernes, anspruchsvolles Werk, das mit Mikro-Intervallen, Diatonik und überraschenden Modulationen die Einzigartigkeit des Augenblicks betont und den organischen Prozess von Wachstum und Verfall beschreibt. Schroff und gegensätzlich einerseits, aber auch poetisch und zärtlich. Die von Orsan und Kreusch 2013 in Hersbruck uraufgeführten „Dia loghi d’amore VII“ sind Teil eines bislang zehnteiligen offenen Zyklus mit Kompositionen für musikalische Paare, der alle Aspekte der Liebe abbildet und den man früher vielleicht als ‚Albumblätter‘ bezeichnet hätte. Diesen Teil nennt Brass „eine Art ‚Lied ohne Worte‘, in dem die Gitarre wirklich eine Rolle spielt. Sie ist viel mehr als ein stiller Begleiter.“ Was im Übrigen für das ganze Album „Dialogues“ gilt. Ein gleichberechtigtes, spannendes, tiefsinniges und überzeugendes Gespräch zweier Instrumente kann man hier erleben, die zueinandergefunden haben.
https://www.johannestoniokreusch.com/