Das Unerwartete scheint bei ihm immer logisch, schrieb ein Kritiker. Auf „Live in Ottobrunn“ beweist Martial Solal das von der ersten Note an: Nur ein D erklingt da zunächst, das einen erst auf die Folter spannt, bis ein pianistischer Wirbelsturm folgt: expressionistische Disharmonien lösen sich in Blue-Notes auf, Glissandi-Läufe münden in lange ausgehaltene Akkorde, klassische Motive verschmelzen mit Anklängen an die halbe Jazzgeschichte. Alles rhythmisch hochkomplex variiert, ohne je aus der Time zu fallen. Und erst langsam schält sich der Standard heraus, der die melodische Basis liefert: „My Funny Valentine“. Wie unter dem Brennglas zeigt so schon das erste Stück des nun als Doppelalbum dokumentierten Auftritts bei den Ottobrunner Konzerten im Dezember 2018 die ganze hohe Kunst des „führenden französischen Jazzpianisten“, wie es untertreibend im Lexikon steht: Ist der gerade 95 gewordene Martial Solal doch ein Solitär der Jazz-, ja der Musikgeschichte.
Zur Musik: https://glmmusic.de/LiveinOttobrunnWE
Mehr Infos: https://www.glm.de/produkt/martial-solal-live-in-ottobrunn/

music & spirit for the cold season
Ganze Generationen sind inzwischen mit der Inspiration durch Dorothée Kreusch-Jacob aufgewachsen. Viele hätten jetzt statt Inspiration Musik gesagt, ist das doch das eigentliche Metier der renommierten Schriftstellerin, Musikpädagogin, Konzertpianistin und Liedermacherin.
Bereits das titelgebende Wortspiel „Brazilian Blues“ bricht lustvoll mit verhärtet-tradierten Betrachtungsweisen dessen, was brasilianische Musik ist und was der Blues sein darf. Wohlwissend, wie juvenil-beweglich das Wesen der Musik konstant nach neuen Anknüpfungspunkten und Ausdrucksformen sucht, umgehen Stefan Koschitzki und Fabiano Pereira auf ihrem neuen Album „Brazilian Blues Vol. II“ jegliches Phrasendreschen. Die beiden Musiker, Arrangement-Kunsthandwerker und Komponisten begreifen ihr Projekt „Brazilian Blues“ als Vehikel zur ständigen Erweiterung ihrer kollektiven Musikersprache. Es geht dabei um durchweg Respektables: das Suchen und Finden neuer Haltungen und aktueller Sichtweisen auf traditionelle Musikspielweisen wie Blues und Bossa Nova. Dazu muss man die feinen Nuancen beider Spielweisen natürlich erstmal begriffen haben…
Brasilien wurde mit dem millionenfachen Erfolg des Albums „Getz/Gilberto“ in den 1960er Jahren zum „Land des Bossa Nova“ erklärt, als hätte es sich über Nacht in Aushängeschild oder Postkarte eines einzelnen Musikstils verwandelt. Doch für das Land war das bei weitem kein neues Phänomen. Schon Jahre zuvor hatte Carmen Miranda Hollywood verzaubert, was zur Folge hatte, dass nicht nur Brasilien, sondern ganz Südamerika auf eine Figur reduziert wurde: der Stereotyp des heiteren, ausgelassen feiernden, karnevalesken und naiven Sambamusikers.